Warum ich meine Freundin ohne Kind jetzt mehr denn je brauche

Von Gastautorin Julia Wild

Nicht falsch verstehen. Ohne Mamafreundinnen wäre ich aufgeschmissen. Schon in der Schwangerschaft bombardierte ich sie mit den unmöglichsten Fragen zu Dammmassage, Wochenbett und Kinderbetreuungsgeld. Jetzt wissen sie Rat zu jeder Entwicklungsstufe meines mittlerweile Kleinkindes und ich bin dankbar. Aber manchmal, da will ich raus aus der Babybubble!

Wer war ich nochmal?

Ich bin gerne Mama und froh über mein neues Leben, solange ich davon Pausen machen darf. Ich brauche Erinnerung an die, die ich einst war: Prä-Baby-Julia. Die finde ich in Gesprächen mit meiner besten Freundin wieder, die (noch) kinderlos ist. Zeit mit ihr ist wie eine Reise zu meiner alten Identität. Wir sprechen nicht über Schlafregression, Beikoststart und quälende Backenzähne, sondern über das geplante Freundschaftstattoo, das wir schon mit 18 wollten. Heute sind wir Mitte 30, aber yolo. Ich finde ihr ungebundenes Singleleben spannend und will alles darüber wissen. Nahezu unvorstellbar ist es außerdem für mich, dass jemand drei Stunden auf der Couch liegen und ungestört Fernsehen kann. Ich bin schon so sehr mit meiner Mutterrolle verwachsen, dass ich vergessen habe, wie es ist, nur für mich selbst verantwortlich zu sein. Manchmal ist als Solo die Entscheidung „Was esse ich zu Mittag“ die schwierigste des Tages. Natürlich alles mal wieder eine Frage des Point of View (POV – um Isa jetzt mal zu triggern, if you know you know). Denn als Prä-Baby-Julia noch 38,5 Stunden pro Woche arbeitete, Sport machte, Wohnung putzte und ihr Sozialleben pflegte, war sie auch davon oft ganz schön geschafft. Was war sie nur für ein Weichei. Sie brauchte tatsächlich acht bis neun Stunden Schlaf und „Zeit für sich“ – irony off.

Der Mütter-Anschluss-Zwang

Mit der Geburt meiner Tochter wurde ich in einen ganz neuen sozialen Kosmos katapultiert. Plötzlich verspürte ich den Drang, mich mit anderen Mamas zu vernetzen und auch soziale Kontakte mit Gleichaltrigen für mein Kind zu sichern. Habe das natürlich gegoogelt und gelesen, dass Kinder sonst komisch werden. Das alles erzeugt unnötigen Stress, vor allem der ewige Vergleichsdruck. „Also Johannes geht schon seit er 10 Monate ist und ich stille nur noch zweimal am Tag.“ Ich denke an meine 15 Monate alte Dauernucklerin und schwitze. „Lea bekommt von uns natürlich nur selbstgekochtes Bio-Gemüse!“ – ich lasse den Fruchtriegel mal dezent in meiner Hosentasche verschwinden. Mum-Shaming unter Müttern ist ein echtes Problem. Natürlich sind nicht alle so, aber man kommt nicht daran vorbei. Das alles gibt es bei meiner Freundin ohne Kind nicht. Und das Schöne ist, das wird es auch nicht geben, wenn sie mal eins hat! Das Problem bei Mama-Freundschaften ist nämlich, dass sie oft neu, kurzlebig, flüchtig und auf die Kinder fokussiert sind. Es geht nicht um die Freundschaft zwischen den Frauen, man trifft sich nur für oder wegen der Babys. Mein positives Gegenbeispiel dazu ist meine langjährige Freundin mit zwei Kindern, die neben Windelausschlag-Fragen, auch solche zur gemeinsamen Party-Vergangenheit beantworten kann. Love it!

Männer in die Pflicht

Erschreckend finde ich die Studienergebnisse von einer Mütterbefragung aus 2012. Auf die Frage hin, was sie in ihrer Freizeit machen, antworteten 54 % schlafen, 39 % shoppen, dann folgten Rückbildung, Friseurbesuch, Erwerbsarbeit, Kino, Wellness, Freunde – und 12 % sagten: ausheulen! Nun haben wir 2022 und ich fürchte, dass die Umfrage ähnlich ausfallen würde. Jede Mama soll sich qualitative Auszeit vom Muttersein nehmen können, wenn sie das möchte. Ein richtiger und wichtiger Weg zu dieser Freiheit ist es, den Männern mehr Verantwortung zu geben, sofern sie präsent sind. Das Kind ist genauso sein Kind wie deins! Also, Baby zum Papa und raus auf einen Drink mit der besten Freundin. You deserve it, Mama.

 

Über Julia

Julia, 34, ist Medizin- und Gesundheitsredakteurin und Mama einer 15 Monate alten Tochter. Sie lebt mit ihrer Familie in Niederösterreich und bildet sich in ihrer Elternzeit gerade zur veganen Fitness- und Gesundheitstrainerin aus. Schreiben ist für sie nicht nur Beruf, sondern auch Hobby, weshalb sie ihre Erfahrungen zwischen Windeln wechseln und lernen (und Hausbau!) trotzdem mit viel Freude im Hi, Baby! Club teilt.

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Photocredits: Simon Maage via Unsplash