Schockdiagnose: Offener Rücken

Triggerwarnung: In diesem Artikel geht es um die Diagnose Spina bifida (“offener Rücken”) beim ungeborenen Kind. Falls du denkst, dass dir dieses Thema nicht gut tut, solltest du den Artikel nicht (oder nicht alleine) lesen.

Von Gastautorin Laura Holzknecht

Schockdiagnose „Ihr Kind hat einen offenen Rücken“

Zuallererst möchte ich erklären, warum ich „du“ in meiner Geschichte schreibe – weil ich meinen Sohn damit ansprechen möchte. Meine Geschichte ist nicht über meinen Sohn sondern FÜR meinen Sohn.

Alles verlief wie es sollte, du warst munter und aufgeweckt in meinem Bauch zugange und ich schob den Termin bei der Feindiagnostik vor mir her. Nicht aus Angst, sondern weil mein Gefühl mir einfach vermittelte, dass alles gut sein sollte.

„Mama, meinst du ich sollte diese Untersuchung überhaupt machen lassen? Ich meine, ich würde mein Baby so oder so bekommen. Vorallem spüre ich, dass mein Baby gesund ist.“ habe ich immer und immer wieder gesagt. Als ich zum Entschluss kam und einen Termin vereinbarte, bekam ich den sogar ziemlich schnell, weil ich bereits in der 13. Schwangerschaftswoche war.

Aufgrund der aktuellen Corona Umstände, die herrschten, durfte dein Papa mich nicht begleiten, er wartete draußen auf mich.

Die Ärztin untersuchte dich sehr genau, vor allem hat sie viele tolle Bilder gemacht. Sie sagte immer wieder, dass du dich nicht ganz zeigen möchtest und schlug mir vor noch einen vaginalen Ultraschall zu machen, um vielleicht dann mehr zu sehen. Gesagt getan, doch du wolltest nicht so wie wir wollten. Das Geschlecht konnte sie zu dem Zeitpunkt noch nicht feststellen, sie war sich aber sicher beim nächsten Frauenarzt Termin würden wir es erfahren. Sie schlug mir vor, einen zweiten Termin bei Ihnen in der Praxis zu vereinbaren, um nochmal eine großen Ultraschall zu machen. Dann wärst du auch schon etwas größer und würdest bestimmt mehr zeigen.

Ich dachte mir nichts dabei und vereinbarte einen neuen Termin zwei Wochen später.

Diesesmal wurde ich von einem Arzt geschallt. Er fragte kurz und knackig, ob wir denn das Geschlecht schon kennen und ob wir es überhaupt wissen wollen. „Nein wir wissen es noch nicht, würden es aber sehr gerne erfahren.“ „Es wird ein Junge.“ Da war ich dann erst mal ein bisschen perplex. Nicht weil ich mich nicht gefreut habe oder keinen Jungen wollte, sondern weil wir alle dachten, dass du ein Mädchen werden würdest. Das sollte aber erst mal zweitrangig sein.

Nach der Untersuchung setzte ich mich an seinen Tisch, er tippte ein paar Sachen in seinen Computer ein und sagte dann zu mir. „Ihr Kind hat einen offenen Rücken.“

Mir wurde warm und kalt gleichzeitig, mein Magen drehte sich im Kreis. Ich kannte zwar die Bedeutung „offener Rücken“, konnte mir darunter aber nichts vorstellen. Ich hatte so viele Fragen im Kopf, bekam aber nichts aus mir heraus. Die Tränen kullerten mir über die Wangen. In meinem Kopf hatte ich schlimme Bilder. Ich hatte tausend Gedanken und doch ein Gefühl von Leere.

Der Arzt klärte mich auf.

Spina bifida (offener Rücken) ist eine Fehlbildung im Bereich der Wirbelsäule und des Rückenmarks. Da sich die Wirbelsäule und das Rückenmark beim Embryo aus dem sogenannten Neuralrohr entwickeln, ist die Spina bifida ein sogenannter Neuralrohrdefekt. Neuralrohrdefekte sind nach Herzfehlern die zweithäufigsten angeborenen Fehlbildungen. Ein offener Rücken bildet sich häufiger im Bereich der Lendenwirbelsäule und des Kreuzbeins als im Bereich der Brust- oder Halswirbelsäule. Es gibt verschiedene Formen und Ausprägungen der Spina bifida. (Google)

Ca. 1 von 1000 Kindern wird mit einer Spina bifida geboren. 8 von 10 Frauen brechen die Schwangerschaft noch ab bevor Sie überhaupt mit richtigen Spezialisten gesprochen haben. Manchmal fragte ich mich, wieso es genau uns traf. Woran es lag? Eine Laune der Natur? Vermutlich an einem Folsäuremangel. Da die Schwangerschaft zu diesem Zeitpunkt eigentlich nicht geplant war, konnte ich auch nicht vorbeugen. Mittlerweile nehme ich jeden Tag Folsäure zu mir, um einfach auf der sicheren Seite zu sein.

Behandlungsmöglichkeiten in der Schweiz

Endlich bekam ich den lang ersehnten Anruf aus Zürich. Die mir alles genau erklärten, was in der nächsten Zeit passieren würde. Wann sie operieren, wie sie operieren und ob sie überhaupt operieren. Eine solche OP ist ja kein kleiner Eingriff und deshalb finden diese Operationen zwischen der 22. und 26. Schwangerschaftswoche statt.

Eine Mama, die sich solch einer Operation unterzieht hat also zwei Kaiserschnitte in einem sehr kurzem Zeitraum.

Wir vereinbarten also einen Termin in Zürich. Um die Zeit zu überbrücken, machte ich mich in einem Facebook Forum schlau. Dort kam ich mit ziemlich vielen in Kontakt, die ebenfalls betroffen waren. Manche erfuhren es erst bei der Geburt, während andere sich schon in Zürich operieren lassen hatten. Dieses Forum ließ mich nach so langer Zeit endlich aufatmen. Ich hatte das Gefühl zu 100% verstanden zu werden. Mit einigen Mamas stehe ich heute noch in Kontakt. Viele sendeten mir Bilder und Videos von Ihren Kinder. Ich konnte die Fragen, die in meinem Kopf herum schwirrten jemandem stellen, der selbst betroffen war.

Wir kamen sogar in Kontakt mit einer Familie, die nur ein paar Orte weiter wohnt. Wir durften sie besuchen, Fragen stellen und deren Tochter kennen lernen.

Früh morgens ging es für uns in die Schweiz. Am ersten Tag stand ein MRI (Magnetresonanztomographie) an. Ich musste eine Stunde warten bis es dann soweit war. Ich bekam komische Klamotten an und wurde dann in eine Röhre geschoben. Das gefiehl dir genauso wenig wie mir. Das ganze sollte ca. eine Stunde gehen, um ganz genaue Schnittbilder von dir zu bekommen. Nach 15 Minuten konnte ich nicht mehr. Ich brach also ab in der Hoffnung genügend Bildmaterial von dir zu haben. Wir fuhren wieder nachhause und ich musste ständig an dieses MRI denken. Wieso bin ich denn nicht stark genug geblieben und habe das für eine Stunde durchgezogen?

Ich muss ja sagen, bisher wurden wir nirgendwo so freundlich empfangen wie bei den Schweizern. Alles super freundliche Leute. Wir wurden also ins richtige Gebäude der Uniklinik gebracht, wo ein großer Ultraschall anstand. Man sah dich herum turnen, mit deinen Beinchen strampeln und Saltos schlagen. Du hast uns sogar einen Daumen nach oben gezeigt. Du gabst uns bei jeder Untersuchung Zeichen, die für mich soviel hießen wie: „Mama, mach dir keine Sorgen, es ist alles gut.“

Die Untersuchung ging dieses Mal wirklich sehr sehr lange, es wurde alles ganz genau kontrolliert, ob und wie oft du deine Blase entleerst, wie groß und schwer du bist, dein Kopf und deine Organe. Alles schien zu passen. Die Ärztin stellte dann sogar fest, dass der Defekt nur den 5. Lendenwirbel betreffen sollte. Umso besser! Dann das große Aufatmen. Die Stelle an deinem Rücken ist nicht offen, sondern durch eine Hautschicht geschützt. Keine Nerven scheinen betroffen zu sein. Du hattest also “nur” eine Meningozele. Eine eher mildere Form der Spina bifida. Die Prognosen stehen gut. Vor allem durch deine fortschrittliche Entwicklung.

Im Anschluss stand noch ein Gespräch mit dem Arzt an, der die ungeborenen Babys operiert. Nun endlich die Bestätigung. Wir brauchen keine Operation. Diese OP wäre zu gefährlich im Vergleich zu ihrem Nutzen. Du scheinst dich so gut zu machen, dass alle sagten, es würde reichen dich kurz nach der Geburt zu operieren. Du solltest aber trotzdem noch engmaschig kontrolliert werden, falls sich etwas ändern würde, hätte man noch bis zur 26. Schwangerschaftswoche Zeit doch zu operieren. Nach langem Bangen und Hoffen endlich diese positive Nachricht! Wir freuen uns so sehr, dich bald kennen lernen zu dürfen!

Deine Geburt, deine Operation, deine Entwicklung

Am 5. Jänner 2021 stand unsere Welt für einen Moment still, du hast das Licht der Welt erblickt. In Salzburg, einer Klinik, die spezialisiert ist auf Kinder mit Besonderheiten wie deine. 400 km von Zuhause entfernt. An deinem dritten Lebenstag wurdest du operiert, dein Rücken wurde erfolgreich verschlossen.

Mittlerweile bist du schon so groß und hast sogar schon eine kleine Schwester. Du entwickelst dich prächtig. Bist „gesunden“ Kindern oftmals einen Schritt vorraus. Du kannst sprechen, laufen und ganz besonders viel Chaos anrichten. Leute die nicht wissen mit welcher Diagnose du geboren wurdest, würden niemals davon ausgehen, dass du ein Spina-bifida-Kind bist.

Die Bindung zwischen uns ist eine ganz Besondere. Uns beide ziehrt eine Narbe, meine am Bauch vom Kaiserschnitt und deine am Rücken von deiner OP. Ich hätte mich niemals gegen dich entschieden. Wie ich ja immer sage, „du bist meine Sonne!“

Mir wurde immer gesagt, dass besondere Kinder nur zu den Eltern kommen, die einer solchen Herausforderung auch gewachsen sind. In der gesamten Schwangerschaft hatte ich nicht einmal einen negativen Gedanken. Ich wusste immer, dass du gesund sein wirst. Selbst die Ärzte sagen, dass es extrem selten wäre, dass ein Kind mit Spina bifida keine Einschränkungen hat. Du bist diese Seltenheit.

Gemeinsam mit deinem Papa haben wir dieses ganze Prozedere gemeistert. Mir hat es enorm viel gebracht, einfach positiv zu denken. Seit ich dich habe, weiß ich was Glück bedeutet.

Lieber Lio, mein ganzes Leben lang hatte ich das Gefühl, mir würde etwas fehlen. Als ich dich kennengelernt habe, wusste ich genau was das war. Meine Liebe zu dir ist unermesslich. Ich hatte niemals den Gedanken, mich gegen dich zu entscheiden. Ich nahm jede Herrausforderung an. Schließlich bist du mein Kind. Du bist in meinem Bauch herangewachsen. Ich werde alles tun, um dich vor Schlechtem zu beschützen und werde dich in keiner Lebenslage jemals alleine lassen. Mama und Papa sind immer da! Du bist ein sehr besonderer Mensch. Ich werde für dich immer das Zuhause sein, wo du jederzeit wieder zurück kehren kannst. Wir lieben dich von ganzen Herzen!

Schlusswort

Vielleicht konnte ich ja der ein oder anderen Mama etwas Hoffnung schenken. Vielleicht konnte ich etwas Farbe in eine graue Welt zurückholen. Ich wünsche allen Betroffenen von Herzen alles Gute. Ich wünsche allen Betroffenen ein möglichst milden Verlauf. Ich wünsche allen, die bis hierher gelesen haben, ein Leben lang Glück und Gesundheit. Denn in meiner Schwangerschaft habe ich gelernt, wie wichtig einem plötzlich die Gesundheit werden kann. Ich habe gelernt, dass kein Geld der Welt helfen kann, wenn man nicht gesund ist.

 

Über Laura:
25 Jahre, verheiratet und 2-Fach Mama. Ungeplant und doch gewünscht ist unsere Familie mit unseren zwei wundervollen Kindern nun vollständig. Ich war sehr lange, sehr aktiv auf Instagram (@lolahlitah), was ich aber seit meiner ersten Schwangerschaft etwas auf Eis gelegt habe.

 

Photocredits: Jon Tyson via Unsplash