Von Gastautorin Lidia Minko
Kleiner Spoiler: Diese Geschichte hat kein Happy End. Es lohnt sich trotzdem weiterzulesen, denn ich verspreche euch, es wird deep.
Für viele Mütter kann die Elternzeit eine Art beruflicher Reset-Knopf sein.
Option A: Man nimmt Abstand vom gewohnten Arbeitsalltag und merkt, dass man irgendwo falsch abgebogen ist.
Option B: Man freut sich nach monatelangem Babygebrabbel auf berufliche Herausforderungen und die alten Kollegen, aber der Arbeitgeber hat keine Lust auf eine “Teilzeit-Mutti”.
In meinem Fall war’s etwas dazwischen. Nun komme ich aus einer Branche, die ohnehin nicht als sonderlich familienfreundlich gilt. Ein Jobwechsel gestaltete sich deshalb schwierig. Mit dem Gedanken mich selbständig zu machen, hatte ich bis dahin nicht wirklich gespielt und es reizte mich an diesem Punkt meines Lebens – als frischgebackene Mama – auch nicht sonderlich.
“Zu groß waren bereits die Veränderungen im privaten Bereich durch das neue Familienmitglied, als dass ich die Kraft und Energie gehabt hätte, einen weiteren essentiellen Bereich meines Lebens umzuwälzen. Zumal ich nicht die leiseste Ahnung hatte, wie ich überhaupt, praktisch aus dem Nichts, Aufträge und Kunden generieren sollte.”
Und trotzdem sprang ich ganz nach Pippi Langstrumpfs Motto “Das habe ich noch nie versucht, also bin ich völlig sicher, dass ich es schaffe” kopfüber in die Selbstständigkeit, denn die Alternativen schienen mir noch unrealistischer oder unattraktiver. Mein blauäugiger Optimismus traf glücklicherweise auf ein System, das Gründer*innen in der ersten Zeit ordentlich unter die Arme greift. Ich taumelte also vom Elterngeld, ins Arbeitslosengeld und schließlich in den Gründungszuschuss. Nie hätte ich gedacht, dass ich die ganze Bandbreite staatlicher Leistungen einmal in Anspruch nehmen würde. Zwischenzeitlich kündigte mein Partner seinen Agenturjob und wir beschlossen, diese Reise gemeinsam fortzusetzen.
“Aber jetzt mal Butter bei de Fische: Das Geld reichte uns vorne und hinten nicht, obwohl wir jede freie Minute, die wir das Kind nicht betreuten, in den Aufbau der Selbstständigkeit steckten: Businessplan schreiben, Seminare und Workshops besuchen, ein Netzwerk aufbauen, erste, eher mau bezahlte, Kundenprojekte abwickeln…”
Ich sah nach rechts und links und fragte mich, wie die anderen Gründerinnen das machten. Wie konnten sie so schnell von ihrer Selbstständigkeit leben? Und mit schnell meine ich nach spätestens einem Jahr, wenn der Gründungszuschuss auslief. Um euch hier mal einen Blick über meinen Tellerrand hinaus zu geben:
- Diejenigen ohne Kinder arbeiteten einfach unermüdlich am Business.
- Diejenigen mit (berufstätigem) Partner bekamen von diesem häufig finanziell den Rücken gestärkt.
- Diejenigen, die vorher im Unternehmen gearbeitet hatten, konnten sich eine gewisse Zeit mit ihren Ersparnissen über Wasser halten.
- Auf mich passte leider keines dieser Modelle. Also recherchierte ich und sprach mit weiteren Behörden: Krippengeld, Kinderzuschlag, Zuschuss zu den Wohnkosten… Anträge über Anträge. Mittendrin fühlt sich alles manchmal sinn- und hoffnungslos an.
Retrospektiv sieht die Sache schon etwas anders aus: Mit Hilfe der Zuschüsse, erster Kundenprojekte, dem mehrmaligen Griff ins (wenige) Ersparte und einiger Entbehrungen, kamen wir durch das erste Jahr.
“Im zweiten Jahr wurde es haariger, denn bis auf das Kindergeld gab es keine Hilfeleistungen mehr. Der Druck, das Einkommen (schnell) zu steigern, wurde enorm hoch.”
Arbeitszeit mit (ständig krankem) Kleinkind aufstocken ist dabei nur bedingt eine Option, und Nachtschichten können nicht zum Dauerzustand werden. Wir wollten nicht jedes Projekt annehmen, aber wir mussten. Wir wollten bessere Preise verhandeln, aber zu sehr waren wir darauf angewiesen, die Aufträge zu bekommen. Was macht man in dieser Situation: „Aufgeben“ und zurück ins Angestelltenverhältnis oder Zähne zusammenbeißen? Wir haben uns für Letzteres entschieden. Und wo sind wir damit gelandet? Wir sind noch immer in unserer 2-Zimmer-Wohnung, aber wir können (meistens) von unserer Selbstständigkeit die Miete und Lebenskosten zahlen. Klingt nicht nach viel, ist es aber.
“Denn wir bereuen nichts. Der Schritt in die Selbstständigkeit brachte einige Entbehrungen und viele schlaflose Nächte, voller Sorgen oder Arbeit mit sich, aber er bescherte uns auch unsagbar wertvolle Freiheiten. Wir verbringen unsere Nachmittage und Abende (fast immer) gemeinsam als Familie, und ich glaube, dass wir uns an all die schönen Momente unser Leben lang erinnern werden.”
Wir haben das Gefühl, genau so viel Zeit mit unserem Sohn verbringen zu können, wie es sich für uns richtig anfühlt. Die Familie hat immer Priorität. Wenn der Kleine uns braucht, muss und kann die Arbeit liegen bleiben. Wir müssen niemanden erst um Erlaubnis fragen. Und glücklicherweise haben die meisten unserer Kunden sogar Verständnis dafür.
Würde ich es nochmal machen? Ich persönlich in meiner Situation: Ja, denn die meisten anderen Wege hätten bedeutet, dass ich nicht die Mutter hätte sein können, die ich sein wollte. Wäre ich allerdings in einer anderen Branche tätig gewesen und grundsätzlich glücklich mit meinem Job: Nein.
“Aus meiner Erfahrung heraus denke ich, dass es im Leben definitiv einen einfacheren Zeitpunkt gibt, um sich selbstständig zu machen. Wenn ich am Anfang schrieb, dass es kein Happy End in dieser Geschichte gibt, dann stimmt das zwar, aber es gibt massig Happy Moments auf dem steinigen Weg, den wir zurückgelegt haben.”
Und glücklicherweise sind wir noch lange nicht am Ende unserer Reise. Die Projekte werden immer spannender und häufig lukrativer. Wir machen die meisten Fehler nicht zweimal und glauben an das Potential unserer Unternehmung. Und ist ein Happy Ausblick nicht ohnehin viel spannender als ein Happy End?
Über Lidia:
Ich bin Lidia, 37 Jahre alt, wohne seit 7 Jahren mit meinem Partner Gregor und unserem vierjährigen Sohn in München. Vor der Geburt habe ich als Art Director in einer großen Werbeagentur gearbeitet, doch seit etwa drei Jahren kreieren Gregor und ich gemeinsam unter MINKOMINKO mindworks – vornehmlich mit und für Gründer*innen – Corporate Designs und Websites.
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